Persönlichkeitsstörung, Persönlichkeits-Störungen

Was ist eine Persönlichkeitsstörung?

Normalerweise ist eine Persönlichkeit etwas Ganzes und Beständiges. Der Psychoanalytiker Sigmund Freud unterscheidet drei Instanzen der Psyche:

  • ES – das impulsive, triebhafte.
  • ICH – das vermittelnde, regulierende.
  • ÜBER‑ICH – das moralische, wertende.

Eine Persönlichkeitsstörung stellt eine Dysfunktion des „ICH“ dar. Menschen ohne Persönlichkeitsstörung können sich wechselnden Situationen anpassen und sinnvoll handeln. Personen mit Störungen der Persönlichkeit zeigen hingegen starre, unflexible Verhaltensmuster, die deutlich von gesellschaftlichen Normen abweichen. Diese Verhaltensmuster können komplex sein, schränken Betroffene im sozialen oder beruflichen Leben ein und führen oft zu Problemen, ohne dass die Betroffenen selbst Einsicht haben. Der Kontakt zur Realität bleibt im Gegensatz zu psychotischen Störungen meist erhalten (bei der Borderline-Störung können psychotische Erlebnisse auftreten).

Klassifikation der Persönlichkeitsstörungen

Persönlichkeitsstörungen lassen sich in drei Gruppen einteilen:

  • Sonderbares, exzentrisches Verhaltenparanoide, schizoide und schizotypische (Borderline‑Schizophrenie) Persönlichkeitsstörungen.
  • Dramatisches, emotionales oder unberechenbares Verhaltenantisoziale, Borderline‑, histrionische und narzisstische Persönlichkeitsstörungen.
  • Angst oder Furchtselbstunsichere, dependente und zwanghafte Persönlichkeitsstörungen.

Diagnosekriterien

Zur Beurteilung einer Persönlichkeitsstörung werden vor allem die Kriterien der ICD‑10 und des DSM IV herangezogen. Viele Kriterien überschneiden sich, weshalb das Erscheinungsbild einer Person verschiedenen Störungen zugeordnet werden kann. Man erkennt einige der oben genannten Merkmale auch bei sich selbst oder im Freundes‑ und Bekanntenkreis. Eine tatsächliche Persönlichkeitsstörung ist jedoch durch zahlreiche extreme Merkmale gekennzeichnet; der Übergang vom „Gesunden“ zum „Kranken“ ist fließend.

Besondere Zuordnungen:

  • Die Borderline-Störung wird im ICD‑10 unter dem Oberbegriff spezifische Persönlichkeitsstörung geführt.
  • Essstörungen sind unter dem Oberbegriff Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren zusammengefasst.

Häufigkeit und Verteilung

Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 9–10 % der Bevölkerung unter Persönlichkeitsstörungen leiden; die Ergebnisse verschiedener Untersuchungen schwanken zwischen 2 % und 18 %. Beispiele für die Verteilung (ungefähre Werte):

  • Schizotype Störungen (bei Frauen) und dissoziale Störungen (bei Männern) jeweils ca. 3 %.
  • Histrionische Persönlichkeitsstörung: 2–3 %.
  • Borderline-Störung: ca. 2 %.
  • Paranoide Persönlichkeiten: 0,5–2 %.
  • Zwanghafte Persönlichkeitsstörung: 1–1,7 %.
  • Narzisstische Persönlichkeit: < 1 %.
  • Ängstlich-vermeidende Persönlichkeit: 0,5–1 %.

Persönlichkeitsstörungen gelten als klinisch wichtige, meist länger anhaltende Zustandsbilder und Verhaltensmuster. Sie spiegeln den charakteristischen Lebensstil, das Verhältnis zur eigenen Person und zu anderen Menschen wider. Einige dieser Muster entstehen als Folge konstitutioneller Faktoren und sozialer Erfahrungen schon früh im Verlauf der individuellen Entwicklung, während andere erst später erworben werden.

Tiefer verwurzelte Muster

Die spezifischen Persönlichkeitsstörungen (F60.-), die kombinierten und anderen Persönlichkeitsstörungen (F61) sowie die Persönlichkeitsänderungen (F62.-) sind tief verwurzelte, anhaltende Verhaltensmuster. Sie äußern sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und soziale Lebenslagen und unterscheiden sich deutlich im Wahrnehmen, Denken, Fühlen und in den Beziehungen zu anderen. Solche Muster sind meistens stabil, beziehen sich auf vielfältige Bereiche des Verhaltens und der psychologischen Funktionen und gehen häufig mit persönlichem Leid sowie gestörter sozialer Funktionsfähigkeit einher.

Einseitige und unflexible Interaktionsschemata führen zu Problemen im Umgang mit anderen Menschen und werden durch negative Rückmeldungen meist weiter verfestigt. So kann beispielsweise das misstrauische, ablehnende Verhalten einer Person mit paranoider Persönlichkeitsstörung ablehnende Reaktionen beim Gegenüber hervorrufen, die wiederum als Beleg für bereits vorhandene Befürchtungen interpretiert werden.

Ursachen und Risikofaktoren

Die Kriterien zur Diagnose einer Persönlichkeitsstörung sind nur bedingt objektiv; histrionische Störungen werden intuitiv häufiger Frauen, narzisstische Störungen eher Männern zugeschrieben. Empirische Studien zeigen, dass sich in den Diagnosen gesellschaftliche Vorstellungen widerspiegeln. Tatsächliche geschlechtsbedingte Unterschiede finden sich am ehesten bei der antisozialen Persönlichkeitsstörung und der Borderline-Störung. Zur Entstehung können sowohl biologisch als auch erlernte Faktoren beitragen:

  • Genetische Einflüsse: beispielsweise die x‑chromosomal lokalisierte Monoaminooxidase-Aktivität und der Einfluss von Testosteron auf Dominanzverhalten und Aggressivität können Geschlechtsunterschiede bei der antisozialen Persönlichkeitsstörung zumindest teilweise erklären.
  • Erziehungsstil und Umwelt: Negative Erziehungspraktiken wie raue Bestrafungen durch die Mutter, unklare Bestrafung von Regelverletzungen, geringer Ausdruck von mütterlicher Zuwendung, wenig Erwartungen und Förderung, geringe Zeit für die Kinder, Schuldgefühle als Erziehungsmittel sowie geringe Aufsicht und schlechte Kommunikation durch die Eltern können das Risiko für die Entwicklung einer Persönlichkeitsstörung deutlich erhöhen.

Solche Auffälligkeiten in der Erziehung können das Risiko, eine Persönlichkeitsstörung zu entwickeln, verdoppeln oder verdreifachen.